Ein Jahr Alltagshilfe für Asylsuchende:
Wir waren sehr gespannt. Wie viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter würden am 28. September 2016 in den Speisesaal der Grundschule kommen? Dorthin war von der Vorsitzenden der Gemeindevertretung, Katrin Menz, eingeladen wurden, um eine Zwischenbilanz über die Arbeit des „Netzwerkes Neue Nachbarn – für Flüchtlinge in der Gemeinde Seddiner See“ zu ziehen. Als dann Tische und Stühle für rund vierzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammen gerückt werden mussten, waren wir sehr positiv überrascht. Der folgende Artikel von Jens Steglich (MAZ) beschreibt die Situation und den Verlauf der Veranstaltung. Wir drucken ihn mit Erlaubnis des Autors ab. W.R.
Im Flüchtlings-Camp am Neuseddiner Breitenbachplatz fand Mitte Oktober der Umzug von 107 Flüchtlingen ins frühere Ambulatorium statt. Das Haus wurde saniert und soll nun bis 2021 als Übergangswohnheim dienen. Vor einem Jahr hatten 170 Flüchtlinge das Containerdorf neben dem Ex-Ambulatorium bezogen. Über ihr Kommen wurde damals in einer Einwohnerversammlung informiert, bei der bange Fragen, harsche Kritik und Hilfsangebote gleichermaßen zu hören waren. Die hitzige Debatte im September 2015 war auch die Geburtsstunde des Netzwerks Neue Nachbarn, das sich am 1. Oktober 2015 gründete und nun nach einem Jahr Zwischenbilanz zog. „Wir haben überwiegend erreicht, was wir uns vorgenommen haben“, sagte Initiativen-Sprecher Werner Ruhnke. Die freiwilligen Helfer engagierten sich etwa als Sprachlehrer, begleiteten Flüchtlinge zum Arzt, betrieben ein Camp-Café und holten Vereine mit an den Tisch. Frauen aus dem Camp fanden so beim ESV Lok Seddin ein Betätigungsfeld, sind dort etwa beim Badminton und in der Gymnastik-Gruppe dabei.
Schon kurz nach der Gründung hatte die Initiative zusammen mit dem Landkreis zu einem Tag der offenen Tür ins Container-Camp eingeladen, um zu zeigen, wie die neuen Bewohner untergebracht werden. „Das hat dazu beigetragen, Ängste abzubauen“, sagte Initiativen-Mitglied und Neuseddins Ortsvorsteher, Andreas Bauch. Werner Ruhnke sprach von einem sehr gelungenen Start vor einem Jahr. „Wir wollten durch unser Engagement erreichen, dass die Flüchtlinge das Gefühl haben, willkommen zu sein“, sagte er. An dem Ziel hat sich nichts geändert.
Bedauert wird allgemein das Ende des Camp-Cafés, das sich erst in einem Raum am Sportplatz und später im Ambulatorium befand, wegen der Sanierung dort aber aufgegeben werden musste. Manchmal waren zehn bis 15 Leute da, manchmal bis zu 60, berichteten Mitglieder der Arbeitsgruppe, die sich vor einem Jahr um die Einrichtung des Cafés kümmerten. „Einheimische kamen selten, aber wenn sie kamen, brachten sie Kuchen mit“, hieß es beim Treffen aus Anlass des einjährigen Bestehens des Netzwerks Neue Nachbarn. „Seit das Café nicht mehr da ist, bleiben die Gruppen oft unter sich“, sagte eine Frau. Der Austausch mit Einheimischen ist so eher eine Seltenheit. „Wir lernen deutsch, aber mit wem können wir deutsch reden?“ Solche Fragen stellen Camp-Bewohner, berichtete Anika Misch, Sozialarbeiterin im Camp. Bashar aus Syrien, der Buchhalter war und nun bei Null anfängt, würde gern ein Praktikum machen. Bislang hat das nicht geklappt. Sein Landsmann Mahran gehört zu den bereits anerkannten Flüchtlingen, die Arbeit gefunden haben – in der Kähnsdorfer Gaststätte „Zur Reuse“.
Von den 171 Flüchtlingen, die 2015 ins Camp kamen, sind noch 100 da. Einige Asylsuchende, die inzwischen offiziell als Flüchtlinge anerkannt wurden und deshalb auszogen, sind in Neuseddin sesshaft geworden. Inzwischen gehen auch 15 schulpflichtige Kinder aus dem Flüchtlingscamp in die Neuseddiner Grundschule, lernen dort in Regelklassen, bekommen nebenher aber auch noch Förderunterricht. „Zwei Mädels sprechen schon sehr gut deutsch, die Jungs sind nicht ganz so strebsam“, so Sozialarbeiterin Anika Misch. „Das ist bei deutschen Schülern nicht anders“, sagte Kathrin Menz. Die Vorsitzende der Gemeindevertretung ist Mitglied im Netzwerk und Lehrerin.
Das frühere Ambulatorium soll zunächst bis 2021 als Flüchtlingsunterkunft dienen. Der Vertrag zwischen Landkreis und dem Eigentümer hat eine Verlängerungsoption. „Die Container werden in Neuseddin nicht mehr gebraucht, wann genau sie wegkommen, steht noch nicht fest“, sagte Kreissprecher Kai-Uwe Schwinzert.
Die Sozialarbeiterin Anika Misch sehnte den Umzug in das frisch sanierte Gebäude herbei: „Wenn man sich ein Jahr lang ein Zimmer zu fünft teilt und 100 Leute eine Küche, führt das zu Spannungen“, sagte sie.
Jens Steglich (MAZ)